In diesem Jahr sollte ich Silvester eigentlich mit einer guten Freundin verbringen. Wir hatten den Abend gemeinsam geplant und ich freute mich wahsninnig drauf! Es war Ablenkung, umgeben von vielen wunderbaren Menschen und hoffentlich ohne viele Gedanken an O.
Aber das Schicksal machte mir einen Strich durch die Rechnung.
Nur wenige Tage vorher, sagte mir die Freundin ab. Ich fühlte mich schrecklich und war überzeugt, Silvester alleine verbringen zu müssen.
Alle Mädels hatten ihren Freund, hatten ihre Pläne, Eintrittskarten und es war eigentlich schon zu spät, um noch irgendwas auf die Beine stellen zu können.
Allgemein ist Silvester echt kein Glückstag für mich. Die letzten Jahre hatte ich es mit O. und seinen Freunden verbracht. Es waren so coole Abende und ich hatte es immer hunderttausend. Aber jetzt war O. weg und meine Freundin hatte mich sitzen gelassen.
Vor einiger Zeit hatte ich ein Studium in Maastricht angefangen, welches ich aber nach nur acht Monaten abbrach. Ich war nicht diszipliniert genug und hatte zu wenige Punkte gesammelt, um das Studium weiterführen zu können. Aber, ich hatte Freundinnen gefunden.
Rosa war gebürtige Frankfurterin. Wir hatten beide das Studium vorzeitig abgebrochen, weil wir gemerkt hatten, dass der Studiengang in den Niederlanden nicht das Richtige für uns war. Über die Zeit hinweg hatten wir den Kontakt gehalten.
Es gab immer wieder Momente, in denen wir keinen Kontakt hatten und andere, in denen wir sehr viel miteinander schrieben und telefonierten.
Im Dezember desselben Jahres hatten wir eine Phase, in der wir sehr viel miteinander sprachen. Zu meinem Glück.
Kurz nach der Absage rief Rosa mich an. Als hätte sie es gespürt!
„Na du, wie gehts dir? Alles fresh?“
„Puh ganz ehrlich. Gerade nicht so bombe. Meine Freundin, mit der ich Silvester feiern wollte, hat mich grade sitzen lassen und ich weiß nicht, was ich tun soll. Rosa ich könnte heulen. Ich werde Silvester alleine verbringen und das, nach allem, was in den letzten Wochen passiert ist!“
„Nein, nein auf gar keinen Fall! Maus ich rufe dich gleich zurück. Lass mich ein paar Dinge klären und Leute anrufen. Mal sehen, ob du nicht einfach herkommen kannst und mit uns feierst! Das dürfte kein Problem sein, aber ich will es vorher nur abklären.“
„Oh Gott du bist ein Schatz! Aber ich will dir nicht zur Last fallen. Bitte mach dir keine Umstände!“
„Ach Quatsch! Ich ruf dich gleich zurück!“
Rosa hatte vor einiger Zeit ihren Freund in Frankfurt kennengelernt. Er war bei der Polizei und kam ursprünglich aus der Nähe von Stuttgart. In Frankfurt fühlte er sich überhaupt nicht wohl, aber leider konnte man als Polizist nicht frei entscheiden, wo man arbeitete. Er hatte vor Kurzem jedoch jemanden gefunden, der gerne mit ihm tauschen wollte. Ein Kollege von ihm hing in Stuttgart fest, wollte aber in Frankfurt arbeiten. Und so kam es, dass er sich nach Stuttgart versetzen lassen konnte und Rosa mit ihrem Freund in sein 700 Seelendorf zog.
Und dorthin ludt sie mich nun ein. Dass die Feier definitiv sehr familiär werden würde, war mir von vornherein klar. Wahrscheinlich ein nettes Beisammensein und das wars. Aber besser als nichts. Ich war so dankbar, dass Rosa so spontan Initiative zeigte und hätte sie am liebsten fest gedrückt.
Sie rief mich kurz darauf zurück.
„Alles klar. Wie kommst du her?“
Wir planten also meine Reise. Ich heulte schon wieder, aber dieses Mal vor Freude und Erleichterung. Ich war mir so sicher, alleine ins neue Jahr feiern zu müssen, doch Rosa rettete mich.
Kurz vor Silvester kam ich bei ihr an.
Sie stellte mich ihrem Freund vor und wir verbrachten die Zeit im Dorf, gingen gemeinsam Frühstücken in Rottenburg,… es war so schön, sie nach der langen Zeit nochmal persönlich zu sehen. Rosas Art ist herzlich, fröhlich, manchmal ein bisschen sarkastisch und zu 100 Prozent ehrlich und direkt. Was ihr in den Kopf kommt, spricht sie auch aus.
Aus meiner gewohnten Umgebung herauszukommen war wie frischer Wind in meinen Segeln.
Und schließlich kam Silvester. Ich war so aufgeregt, in eine Gruppe zu kommen, die sich kannte, seitdem sie geboren waren. Richtig nervös war ich! Wir waren schon sehr früh da und eine der ersten. Für mich perfekt, denn so kamen alle auf mich zu und begrüßten mich. Ich lernte nach und nach die Gruppe kennen.
Und wieder einmal meinte es das Schicksal gut mit mir. Vollkommen unerwartet und aus dem Nichts kam er durch die Türe. M.
Wie konnte jemand, der so unverschämt gut aussah, in diesem 700 Seelendorf so gut versteckt bleiben?
Aber ich brauchte mir gar keine Hoffnungen machen. Der Kerl sah einfach unverschämt gut aus. Ich war überzeugt, dass jeden Moment seine Freundin um die Ecke kam. Aber es folgte nur sein Bruder und weitere Mädels und Jungs der Truppe.
Ich lernte die restlichen Freunde aus Jogis und Rosas Freundeskreis kennen. Eine Bande voll von verrückten, netten und lustigen Menschen, einer herzlicher als der andere. Es hatte keine fünf Minuten gedauert und ich fühlte mich als wäre ich schon immer ein Teil gewesen.
Die Energie, die diese Menschen versprühten, war durch und durch positiv. Ich tanzte mit ihnen, lachte, quatschte, trank. Wir aßen alle zusammen, machten Bilder und spielten Trinkspiele. Kurz vor Mitternacht spazierten wir zu einem Aussichtspunkt, über den wir einen tollen Blick ins Tal hatten. Dort ließen sie Feuerwerkskörper starten und hier sprach M. das erste Mal mit mir und wünschte mir ein frohes neues Jahr.
Diese Augen.
Wir liefen nach dem Feuerwerk alle gemeinsam durchs Dorf, da dies eine Tradition war und gingen bei einem aus der Gruppe ins Haus. Es wurde Schnaps verteilt und getrunken, bevor es später zurück ins Feuerwehrheim ging.
Ich hatte mich schon lange nicht mehr so frei und glücklich gefühlt. So wohl, so gut aufgehoben. Das war definitiv jetzt schon der schönste Abend in den letzten sechs Wochen! Ich dachte an nichts, außer daran, wie viel Spaß ich in dieser Nacht, mit diesen Unbekannten hatte.
Rosa verabschiedete sich irgendwann gegen drei oder vier Uhr morgens. Aber ich wollte noch nicht gehen.
Wie sich nämlich herausgestellt hatte, gab es keine Freundin. M. war Single. Und wir kamen so langsam ins Gespräch. Da wollte ich doch nicht gehen! Also ging ich mit Rosa kurz zu ihr nach Hause, holte dort einen Schlüssel und marschierte zurück zur Feier.
Um sechs Uhr morgens unterhielten M. und ich uns immer noch. Ich merkte absolut keine Zeichen von Müdigkeit bei mir und wollte auch nicht, dass dieses Gespräch jemals aufhörte. Es wurde hell und er begleitete mich zum Haus. Seine Eltern wohnten direkt gegenüber.
Und da unser Gespräch auch vor der Haustüre nicht abebbte, es aber kalt wurde, ging ich mit zu ihm. Bis halb neun morgens sprachen wir miteinander und lachten.
Wer war doch gleich nochmal Otten?
Irgendwann überkam uns dann doch die Müdigkeit und ich verabschiedete mich, ging rüber, um totmüde ins Bett zu fallen. Vor Aufregung, Nervenkitzel, Adrenalin, Glücksgefühlen,… konnte ich kaum schlafen und drei Stunden später stand Rosa schon an meinem Bett.
Wir hatten versprochen, am nächsten Tag das Feuerwehrheim aufzuräumen und es war Zeit. Ich machte mich fertig, mit Schmetterlingen im Bauch, denn ich wusste, dass M. auch da sein würde.
Alle waren da.
Wir räumten auf, putzen und setzten uns anschließend alle an den Tisch. M. saß am einen Ende und ich am anderen. Und wir grinsten uns immer mal wieder an. Es wurden Pizzen bestellt und gemeinsam gegessen. Wie eine Verrückte suchte ich in der Zwischenzeit nach seinem Instagram, damit ich ihm schreiben konnte. Ich traute mich einfach nicht, zu ihm rüberzugehen und mit ihm zu sprechen. Nicht, wo noch so viele weitere Menschen um uns herum waren.
Vielleicht war er am Vorabend auch einfach nur nett gewesen.
Doch nach nur wenigen Nachrichten hatten wir uns zu einem Filmabend verabredet.
Natürlich alles in Absprache mit Rosa. Die Gute malte sich schon unsere Hochzeit aus und hoffte inständig, dass wir uns so gut verstehen würden, dass ich herziehen und in ihrer Nähe wohnen würde.
Der Film war schnell entschieden. Ich weiß nicht mehr genau, welcher es war. Lediglich, dass Leonardo di Caprio mitspielte. Denn das war sein absoluter Lieblingsschauspieler und er hatte jegliche DVD´s von seinen Filmen. Wir redeten viel zu Beginn des Films und irgendwann wurden wir ruhiger.
Er legte einen Arm um mich, zog mich näher zu sich heran. Wir kuschelten. Es fühlte sich direkt vertraut und angenehm an.
Allgemein glaube ich, dass ich jemand bin, der, nach anfänglicher Skepsis und Auftauphase, schnell Vertrauen fasst. Vor allem, wenn ich von alleine auf jemanden aufmerksam geworden bin und diese Person auf mich anziehend wirkt. Sei es durch ihr Aussehen, Charakterzüge, Arbeit,… egal. Wenn mir jemand sympathisch erscheint, ist das schon die halbe Miete.
Genauso schnell kann ich aber auch mein Interesse verlieren. Wenn die anfängliche Euphorie nachlässt, ist es nicht leicht, mich noch weiter zu begeistern. Ich kann am ersten Tag, in der ersten Woche absolut Feuer und Flamme gewesen sein. Wenn ich jedoch keine emotionale Bindung aufbaue, ist es so schnell vorbei, wie es auch angefangen hat.
Aber weiter passierte nichts. NICHTS. Ich lag lediglich in seinen Armen und er streichelte mir übers Haar und über den Rücken.
Nicht, dass das falsch gewesen wäre. Aber ich stellte mir irgendwann schon Fragen.
Der Film war fast vorbei und mir wurde fast schlecht vor Aufregung und innerer Nervosität.
Wie sich herausstellte, war M. definitiv keiner von den Bad Boys, sondern einer von den Guten und mindestens genauso aufgeregt wie ich. Es war ewig her, dass er sich für eine Frau interessiert, geschweige denn, eine zu sich eingeladen hatte.
Er war durch und durch gut, ehrlich; wundervoll.
War das jetzt ein Traum?
Der Film ging insgesamt 2,5-3 Stunden. Und irgendwann, gegen Ende des Films, lehnte er sich endlich -ENDLICH! Ich hatte schon kaum noch damit gerechnet- zu mir runter und küsste mich. Ich konnte mein Glück kaum fassen.
Dieser Mann war für mich kurz vorher vollkommen unerreichbar erschienen und hier waren wir plötzlich. In seinem Zimmer und er küsste mich zärtlich.
Womit hatte ich das verdient?
Und mussten wir jemals aufhören?
Musste ich wirklich zwei Tage später schon fahren?
Tatsächlich hatte ich noch keine Rückfahrt gebucht und schaffte es, sie einen Tag nach hinten zu schieben. Aber mehr ging nicht. Ich packte also meine Tasche und fuhr mit gemischten Gefühlen Heim.
Ich war verwirrt, da meine Trennung von O. noch nicht lange herwar und auch nicht ich diejenige gewesen war, die die Beziehung beendet hatte. Ich war überzeigt gewesen, dass O. der Mann war, den ich heiraten wollte.
Und trotzdem fühlte ich mich zu M. hingezogen, hatte Schmetterlinge im Bauch. Und bei dem Gedanken, ihn zu verlassen und nicht zu wissen, wann ich ihn wiedersehen konnte, wurde ich unglaublich traurig. Mein Magen zog sich zusammen.
Ich hatte eine lange Fahrt vor mir und viel Zeit, um nachzudenken.
M. und ich schrieben die nächsten Tage unglaublich viel. Ich vermisste ihn und sein Lachen. Seine positive Art. Und es dauerte nicht lange, da hatte ich meine nächste Reise nach Schwalldorf gebucht.Ich hielt es einfach nicht aus. Jede Möglichkeit, die sich mir bot, wollte ich ergreifen. Auch wenn wir alles langsam angehen lassen wollten, so konnte sich doch nichts entwicklen, so konnte man sich nicht eimal gescheid kennenlernen, wenn man sich nicht sah.
Die anderthalb Wochen, die zwischen unseren Treffen lagen, verstrichen langsam. Wir telefonierten, schrieben Nachrichten. Man sah mir an, dass es mir allgemein besser ging.
Ich versuchte den Kontakt zu O. so gut es ging zu unterbinden. Doch er musste gemerkt haben, dass etwas im Busch war. Und das schien sein Interesse wieder mehr zu wecken. Er suchte verstärkt meine Aufmerksamkeit und gab sich Mühe.
Aber ich war so hin und weg von M., dass ich O. mehr oder weniger links liegen ließ.
Vor allem an den Wochenenden erhielt ich von nun an noch mehr Nachrichten von O.
Ich konnte es kaum abwarten, als ich endlich ins Auto meiner Mitfahrgelegenheit stieg, um wieder ins Schwabenland zu düsen.
Wir verbrachten erneut ein wundervolles Wochenende gemeinsam. Gingen Ausessen mit Rosa und ihrem Freund und waren Schlittschuhlaufen.
Die Zeit verging wieder viel zu schnell und erneut wollte ich einfach nicht nach Hause.
An diesem Wochenende erhielt ich unwahrscheinlich viele Nachrichten von O. Er hatte wohl gemerkt, dass ich nicht in meiner Wohnung war. Und ich glaube, dass sein Kampfgeist geweckt war.
Lustig, oder? In den Wochen von der Trennung bis zu Silvester, hatte er sich immer weniger gemeldet. Meist nur, wenn er etwas wollte oder es mir wirklich dreckig ging.
Aber jetzt, wo er feststellen musste, dass ich mich langsam von ihm abwand, bekam er Panik.
Wisst ihr, was besonders mies daran war? Dass für ihn weiterhin feststand, dass er keine Beziehung mit mir wollte. Und trotzdem kämpfte er um mich und gönnte mir mein glücklich sein nicht. Aber das war mir damals noch nicht bewusst.
Ich hingegen, hatte nur im Kopf, wann ich meine nächste Fahrt in Richtung Baden-Württemberg buchen konnte. Februar sollte es sein. Ich verzichtete freiwillig auf Karneval und stellte mich stattdessen auf die Fasnet ein.
An dem Wochenende sah ich den Großteil der Gruppe von Silvester wieder und jeder empfing mich erneut unglaublich herzlich.
Da es in Belgien Karnevalsferien gibt, konnte ich mein Wochenende dieses Mal verlängern und musste nicht nur bis sonntags bleiben. M. hatte sich auch zwei Tage frei genommen, um etwas mehr Zeit für mich zu haben.
Wir schauten uns den Umzug im Nachbarsdorf an. Ich wusste, das die Fasnet andes gefeiert wurde, als Kölscher und Ostbelgischer Karneval. Was ich nicht wusste, war, dass die Teilnehmer der Umzüge sich manchmal Leute aus dem Publikum schnappten und diese unter ihre Fittiche nahmen.
Während die Gruppen bei uns jährlich ihre Kostüme ändern, bleiben die Kostüme und vor allem die imposanten Masken hier jedes Jahr gleich.
M. selbst ging nicht im Zug mit; viele seiner Freunde und sein Bruder jedoch schon.
Die Teilnahme war gar nicht so einfach und erst recht nicht günstig. Aber es machte unglaublich Spaß, zuzuschauen!
Naja, ich denke, ihr wisst, worauf das hinausführt!
Mitten im Umzug schnappte mich eine der Hexen- ich weiß nicht mehr wer es war, denn sie trugen ja alle große Masken, so dass man sie nicht erkennen konnte – und trug mich zum Hexenkessel. Hier wurde ich- vorsichtig -hineingelegt. Lediglich meine Schuhe schauten noch heraus.
„Mach am besten die Augen zu.“ -Ja danke für den netten Hinweis!
Und schon drehten und drehten und drehten sie den Hexenkessel. Mit mir drin!
Meine Güte, war ich froh, dass ich keinen Alkohol getrunken hatte!
Mir wurde schlecht und schwindelig und ich war so froh als es vorbei war und ich zu M. zurücktaumeln konnte.
Der Gute fing mich einfach nur auf und hielt mich fest.
„Willkommen bei der Fasnet bei uns“, und lächelte mich einfach nur an.
Ich schwöre, dass ich dieses Lächeln niemals vergessen werde!
Ich war weder böse noch beleidigt, sondern fand es einfach nur cool, dass die Jungs sich diesen Spaß mit mir erlaubt hatten!
Ich fühlte mich immer mehr und mehr als Teil der Gruppe!
Wie bereits erwähnt, hatte ich dieses Mal einen längeren Aufenthalt bei M. eingeplant, damit wir mehr Zeit hatten, uns besser kennenzulernen.
In einer dieser Nächte, vibrierte mein Handy fast durchgängig. Es kamen in dieser Samstagnacht bestimmt zehn Anrufe von O. rein und nochmal doppelt so viele Nachrichten per WhatsApp und zusätlich per SMS.
Zu Beginn versuchte ich die Nachrichten zu ignorieren, stellte mein Handy auf stumm und nicht stören, aber es hörte nicht auf. Und seine Nachrichten machten mir Sorgen.
Er schrieb so beunruhigend und sagte mir, dass es ihm nicht gut ginge und ein Leben ohne mich für ihn keinen Sinn machen würde.
Er erwartete, dass ich um drei Uhr nachts wach war und für ihn zur Verfügung stand. Dass ich für ihn da war. Und dumm wie ich war, tat ich natürlich genau das. Ich antwortete ihm. Mitten in der Nacht. Ich war kaputt und müde, stellte aber sein Wohlergehen über meines. Aber er war beledigt, weil ich nach fünf Minuten nicht geantwortet hatte.
Es verletzte mich, zu lesen, dass er das Gefühl hatte, nicht mehr auf mich zählen zu können, wo er mich doch brauchte. Er machte mir so ein schlechtes Gewissen, dass es mir unglaublich schlecht ging. Mir wurde übel und mein Magen rumorte.
So dass ich mich irgendwann bei einem seiner erneuten Versuche, mich anzurufen, aus dem Zimmer schlich, damit M. nicht aufwachte und auf dem Flur ans Telefon ging.
O. war vollkommen aufgelöst- und wütend. Ich versuchte ihn zu beruhigen und hatte sofort ein schlectes Gewissen. Wie so oft, wenn ich mich mit ihm unterhielt. Ich fühlte mich klein und schlecht und wurde leise. Lies mich runtermachen und Schlechtreden. Er griff mich sofort verbal an und aus iregdneinem Grund versuchte ich mich zu verteidigen und zu rechtfertigen, warum ich um drei Uhr nachts nicht am Handy und wach war.
Irgendwann schaffte ich es, das Gespräch zu beenden und schaltete mein Handy aus, um in Ruhe zu M. zurück unter die Decke zu kriechen.
Mein Safe Place. Mein Happy Place.
Und er drehte sich um und nahm mich in den Arm, zog mich an sich und schlief weiter.
Zumindest hoffte ich das. Hoffte, dass er von dem Drama nichts mitbekam und sich keine Sorgen machte. Das hatte er nicht verdient!
Meine Gedanken allerdings drehten sich weiter um O. Ich machte mir Sorgen und war erneut verwirrt.
Ganz ehrlich? Ich HASSTE es! Ich hatte einen Funken Hoffnung und Glück erfahren. Ich hatte es geschafft, mich aus meinem Elend rauszuholen. Oder vielmehr hatte M. es geschafft.
Und dann kam O. um die Ecke. Lediglich aus Angst, dass er mich verlieren könnte, dass ich nicht mehr verfügbar war oder was auch immer, grätschte er wieder rein. Nicht weil er mich und unsere Beziehung wieder wollte.
Er machte mir so ein schlechtes Gewissen, dass ich am liebsten wieder heulend in einer Ecke gesessen hätte. Womit hatte ich das verdient? All diese Vorwürfe und Behauptungen, dass er mir plötzlich nicht mehr wichtig wäre, dass er immer für mich da gewesen wäre und mir nie so etwas Schreckliches angetan hätte. Dass es mir doch egal wäre, ob er leben oder sterben würde. Wenn er eine schlaflose Nacht hatte, sollte ich auch eine haben und für ihn da sein. Ich wurde beschuldigt, beschimpft. Er erwartete einen genauen Bericht darüber, was ich machte, wo ich war, mit wem ich unterwegs war. Und wenn ich sagte, dass es ihn nichts anginge, wurde er giftig.
Zeitgleich sagte er mir, dass er mich zurück haben wollte.
So lange hatte ich auf diese Worte gewartet und jetzt konnte ich einfach nur heulen! Das war nicht fair.
Ich fühlte mich schuldig und schlecht.
Am nächsten Abend wollten M. und ich ins Kino gehen. Er hatte bereits Karten besorgt und ich freute mich, da Kinobesuche bei mir relativ selten waren. Ich erinnere mich leider nicht mehr an den Film, wohl aber daran, was danach geschah.
M. und ich fuhren zu der Aussichtsplattform, an der wir Silvester die ersten Worte miteinander gewechselt hatten. In meinem Unterbewusstsein wusste ich bereits, dass jetzt etwas Besonderes passieren würde.
Und plötzlich stand er vor mir, kramte einen kleinen Plüschteddybär aus seiner Jackentasche, welcher ein kleines Herzchen in seinen Händen hielt mit den Worten ´I love you
´ und schaute mich mit großen Augen an.
In mir schrie ich förmlich danach, dass er bloß nichts sagen würde. Dass er die Worte, die er über seine Lippen bringen wollte, für sich behielt.
Aber ich brachte keinen Ton raus.
Und er stand einfach nur vor mir. Der Mann, von dem ich mir niemals zu träumen gewagt hätte, dass er sich überhaupt für mich interessieren würde, und gestand mir seine Liebe und Zuneigung. Er erzähte mir, wie wohl er sich in meiner Gegenwart fühlte und wie sehr er die Zeit mit mir genoss. Dass er sich schon lange nicht mehr so auf jemanden einlassen konnte und dass er dankbar dafür war, mich kennengelernt zu haben.
Und ich wollte einfach nur, dass er aufhörte zu reden. Ich war nicht bereit für den nächsten Schritt.
Die Worte sprudelten einfach nur aus ihm heraus. Er musste so nervös und aufgeregt gewesen sein und sich so viele Gedanken im Vorhinein gemacht haben.
Aber ich mochte dieses undefinierte Etwas zwischen uns. Ich mochte es, keinen Druck zu haben.
Ehrlich gesagt interessierte mich Nichts und Niemand anderes. Nur er. Ich redete auch von Nichts anderem mehr.
Aber in dem Moment, als er mich fragte, ob ich offiziell eine Beziehung mit ihm führen wollte, bekam ich Panik.
Im Grunde genommen verhielten wir uns doch eh nicht anders. Wir hielten Händchen, küssten uns. Meine Eltern wussten von ihm und da ich die letzten Tage bei ihm und seinen Eltern gewohnt hatte, wussten seine Eltern offensichtlich auch von mir.
Es war lediglich ein offizielles Anerkennen, ein Kategorisieren der Sache, die wir laufen hatten.
Etwas, worüber sich jede Andere gefreut hätte.
Aber dem Ganzen einen Namen zu geben. Dafür war ich nicht bereit. Ich fühlte mich wie ein Reh; in die Ecke gedrängt und ohne Möglichkeit nach links oder rechts ausweichen zu können.
Ich konnte mich selbst ohrfeigen! Der Mann, von dem ich immer geträumt hatte, stand vor mir und wünschte sich nichts mehr, als das, was wir hatten, öffentlich zu machen.
Also riss ich mich am Riehmen und küsste diesen Traumprinzen.
Ich glaube, ich hatte ihn nie glücklicher gesehen.
In den nächsten Tagen und Stunden ließ mich mein Gefühl der Unruhe und Panik aber kaum los und ich war fast schon erleichtert, als ich im Auto in Richtung Heimat saß.
Ich hatte keine Möglichkeit gehabt, mir über meine Gedanken und Gefühle klar zu werden oder darüber, was ich eigentlich wollte. Aber ich wollte M. nicht verletzen oder ihn beunruhigen.
Und es kam noch schlimmer. Freitags stand plötzlich unangekündigt und völlig aufgelöst O. vor meiner Türe. Und ich ließ ihn herein, da ich mir nicht anschauen konnte, wie schlecht es ihm ging.
Meiner Ungewissheit tat dies gewiss nicht gut. Er überhäufte mich mit Versprechungen und den ganzen Worten, die ich in unserer Beziehung vermisst hatte.
Aber ich schickte ihn wieder nach Hause. Und M. erzählte ich von O.´s Besuch, da ich mir geschworen hatte, ihm nichts zu verheimlichen und ihn nicht zu belügen.
Eine Woche später fuhr ich mit einer der Klassen, in denen ich unterrichtete, auf Schneeklasse. Sprich: Auf Klassenfahrt mit einer Bande 11- bis 12jähriger Schüler, die zehn Tage lang Ski fahren sollten und die Umgebung von Luttach unsicher machten- und ich als Lehrerin mitten unter ihnen.
M. musste gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. In dieser Zeit meldete ich mich weniger und war sehr kurz angebunden. Er fragte mich immer wieder, was mich bedrückte und wann er mich besuchen kommen könnte in Belgien, aber ich konnte ihm auf die Fragen keine Antwort geben.
Ich nutze das schlechte Netz und die Tatsache, dass ich auf der Reise so beschäftigt war, als Ausrede, um mich mit meinen Gedanken und Gefühlen auseinanderzusetzen.
Es war in den letzten Wochen so viel passiert und es hatte kaum einen Moment gegeben, um mich mit allem auseinanderzusetzen.
Schließlich kam ich zu folgender Entscheidung: Ich mochte M. wirklich gerne, aber war nicht bereit, für etwas Ernstes.
Ich glaube, wenn wir unser Etwas einfach unbetitelt hätten weiterlaufen lassen, hätte sich etwas entwicklen können. Aber seine Ansage war zu früh gekommen. Und auch wenn er beteuerte, dass wir so weitermachen konnten wie vorher und einfach wieder einen Schritt zurück gehen konnten, so waren seine Worte gefallen und hallten in meinen Ohren nach.
Ich rief ihn nach der Schneeklasse abends an und erklärte ihm meine Gefühle. Ich konnte ihm nicht sagen, dass ich ihn liebte, da ich dafür einfach nicht bereit war.
Ich wusste, dass ich es irgendwann bereuen würde, mich von ihm zu trennen und den Kontakt abzubrechen und es brach mir das Herz, aber es ging nicht anders.
Ich war nicht frei, war nicht bereit.
Und legte auf. An dem Abend verlor ich somit einen absoluten Traummann.
M. meldete sich eine lange Zeit nicht mehr. Und irgendwann, aus heiterem Himmel hatte ich eine Nachricht von ihm auf meinem Handy. Es fiel ihm schwer, mit uns abzuschließen. Auch wenn die gemeinsame Zeit kurz gewesen war, so war sie doch intensiv gewesen. Er hatte sich mir geöffnet und sich fallen gelassen und ich dumme Kuh verletzte ihn so sehr, indem ich ihm den Rücken zukehrte.
Aber ich konnte nichts fühlen und nichts erzwingen, was nicht dagewesen war.
Wir hatten über die Monate und Jahre immer mal wieder spärlich Kontakt. Immer mal wieder dachte er an mich oder ich an ihn und wir schrieben uns.
Ich weiß nicht genau, ob es etwas geändert hätte, wenn O. den Kontaktabbruch damals akzeptiert hätte oder wenn M. mir nichts von seinen Gefühlen gesagt hätte.
Im Nachhinein ist es immer einfach zu behaupten.
Aber ich glaube daran, dass alles im Leben seinen Grund hat und dass jeder seinen Weg gehen muss.
Ich denke heute noch hin und wieder an ihn. Und wie prophezeit, kam der Tag, an dem ich meine Entscheidung bereut hatte.
Er kam ca zwei Jahre später. Der Tag, an dem es mir wie Schuppen von den Augen fiel und ich mich am liebsten selbst mehrmals geohrfeigt hätte.
Ich hatte damals Gold gehabt und habe mich doch für Kupfer entschieden.