Erinnert ihr euch noch an die Zeit vor der Quarantäne und vor Lockdowns?
Als das Leben noch normal schien. Ein Leben ohne Masken, mit offenen Restaurants und Bars und sogar Partys waren erlaubt. Es war das absolut normalste der Welt. Wie selbstverständlich quetschten wir ins in den Metros und Bussen aneinander, gaben unseren Freunden Umarmungen und Küsse und probierten unsere Klamotten in den Stores an.
Ich erinnere mich noch sehr gut an den 8. März. Ein Sonntag. Und Sonntage standen zum damaligen Zeitpunkt für „Vendetta im Velissima“. Das besondere an diesem Sonntag, 8. März, war allerdings, dass ich die Nacht nicht zu Hause verbringen würde. Nein. Ich hatte eine Einladung ins Motel One erhalten. Ich hatte das Glück, die weichen Betten und den Comfort meines Balkonzimmers zu testen, um euch das Hotel näher zu bringen und persönlich von meinen Erfahrungen zu berichten. Wie ich mich darauf freute, in einem vernünftigen Bett zu schlafen und mich in den Laken zu wälzen. Wenn auch nur für wenige Stunden!
Der Tag war um einiges stressiger gewesen als geplant. Und wie immer war ich spät dran. Dieses Mal musste ich mich aber vorher nicht nur stylen, sondern auch meine Tasche packen, zum Hotel düsen, einchecken, meinen Kram im Hotel abladen, um von dort aus weiter zum Restaurant zu kommen. Pluspunkt (vorsicht Sarkasmus): die Busse streikten mal wieder und fuhren nur, wie sie Lust und Laune hatten. Alles in allem also mehr als unpraktisch und ein weiteres Mal wünschte ich mir, ich würde mein Zeitmanagement endlich mal in den Griff bekommen oder aber weniger optimistisch sein, was meine To Do Liste anginge.
Zum Glück gehört es in Spanien schon fast zur guten Manier, zu spät aufzutauchen und niemand schaut dich komisch an, wenn du ein paar Minuten hinten dran hängst. In dem Punkt passe ich mich hervorragend an… Schade nur, dass ich abends nicht mit spanischen Freunden verabredet war. Mir tat meine Freundin Miri Leid, da sie nun auf mich warten musste. Aber ich hatte ihr schon Bescheid gesagt, sodass sie sich zumindest nicht vor dem Eingang in der Kälte gedulden brauchte.
An besagtem Sonntag, 8. März, waren wir zu einigen Tapas vor der Feier eingeladen. Das Restaurant macht wirklich unglaublich leckeres Essen und besonders freute ich mich auf den Wein und das Brot mit Öl. Ja, richtig gelesen… Denn nicht mal in Deutschland habe ich so leckeres Brot gegessen. Und das heißt schon was! Der Abend begann also mit einem mega leckeren Essen, bevor es anschließend auf die Tanzfläche ging. Wir schwangen kurz das Tanzbein und wackelten ein bisschen mit dem Popo, bevor Miri und ich weiter durchs Restaurant liefen, um die beiden Theken abzuklappern und auch auf dem Balkon nach ein paar hübschen, männlichen Gesichtern zu stöbern.
Und dann standen sie da. Eine Gruppe Boys. Ohne uns abzusprechen tippten wir uns an und mussten erstmal lachen. Wir hatten sie wohl zeitgleich entdeckt. Miri sah einen attraktiven Blondi und ich einen netten brünetten Boy. Wir versuchten Blickkontakt aufzubauen, lächelten hin und wieder… Und eigentlich musste man in Spanien nicht mehr tun. Aber dieses Mal tat sich nichts. Ich konnte es nicht glauben. Er warf mir zwar immer wieder Blicke zu, lächelte, aber mehr tat sich da einfach nicht.
Das Spiel wurde mir irgendwann zu doof. Wir drehten uns um und bestellten uns an der Bar einen Drink.
„Was denkst du?“
„Ach, ich weiß nicht. Ich find ihn eigentlich echt cute, aber selbst jemanden anzusprechen… Keine Ahnung. Andererseits… Wer nicht wagt, der nicht gewinnt?“
Ich nippte an meinem Rum Cola und schaute Miri an. Why not?
„Okay, let´s do this!“ Wir drehten uns um und machten uns von der Bar auf den Weg nach draußen zur Terrasse, wo die Boys noch standen. Er lächelte mich wieder an. Ich war erneut unglaublich nervös und legte mir in meinem Kopf bereits ein paar spanische Sätze zusammen, um nicht wie eine vollkommene Idiotin zu klingen.
Aber- Why not?
Und ZACK. Hatte ich ihn vor mir stehen.
Also nein, nicht den Schnuckel mit dem ich den halben Abend Blickkontakt hatte.
Sondern ihn.
Ein Kerl, der sich mit einem großen Schritt nach links in meinen Weg gestellt hatte und mir das Weitergehen somit erschwerte.
„Hola“, grinste er mir frech ins Gesicht. „Ich bin M.!“
M. hatte mich auf Englisch angesprochen. Offensichtlich sah ich stark nach `nicht spanisch` aus.
Ich unterstand der Versuchung, ihm zu erwidern: „Hola und ich bin `nicht interessiert`.“
Mein Blick fiel auf den Cutie im Hintergrund. Der Grund, aus dem ich eigentlich auf die Terrasse gekommen war.
In meinem Kopf ratterte es. Wenn ich den guten M. jetzt schroff abweisen würde, wonach mir definitiv der Kopf stand, würde der Cutie eventuell denken, ich hätte kein Interesse.
Würde ich aber zu nett zu M. sein, würde der Cutie ebenfalls denken, dass ich kein Interesse hätte. Es war verflixt.
Ich entschied mich also dazu, freundlich, aber distanziert zu sein und machte ihm schnell klar, dass ich keine Lust auf ein Gespräch hatte. Ich beantwortete seine Fragen in nur wenigen Worten (aber auf spanisch!), fragte nichts zurück- klassische Abwehrhaltung.
Das beeindruckte M. allerdings überhaupt nicht. Er quatschte fröhlich vor sich hin und wollte immer mehr und mehr wissen. Und auch ohne, dass ich fragte, wollte er scheinbar immer mehr und mehr von sich preisgeben. M. erzählte mir von seinem besten Freund, der auch Belgier war, warf ein paar französische Worte ein,… er gab sich wirklich Mühe. Bis er schließlich von mir abließ: „Ich merke, du warst grade eher auf dem Sprung und ich halte dich auf, von deinem Weg woanders hin. Würdest du mir deinen Instagram Namen verraten? Dann lasse ich dich in Ruhe.“
Ich griff nach dem Strohhalm, den er mir anbot. Ganz ehrlich? So frech wie ich grade war, würde er sich eh nicht melden. Also tippte ich meinen Namen in sein Handy, lächelte und drehte mich um.
Ich konnte es nicht fassen! Cutie war nicht mehr da. Miri und ich machten uns also erneut auf die Suche nach der Jungs Gruppe und philosophierten darüber, warum die Jungs uns nicht vorher angesprochen hatten.
„Vielleicht hat er ja auch eine Freundin?“
„Nein, das glaub ich nicht“, meinte Miri kopfschüttelnd. „Ich glaub der ist einfach schüchtern.“
„Okay- wenn wir sie wieder finden, sag ich ihm, dass wir eine Wette haben. Ich sag er ist vergeben und du sagst er ist schüchtern. Wir werden sehen!“
Spoiler Alert: Wir haben noch einige Minuten gesucht, aber niemanden der Boys gefunden.
Somit verbrachten wir den restlichen Abend auf der Tanzfläche und ich fiel um ein Uhr nachts müde in mein kuscheliges Motel One Bett.
Am nächsten Morgen war ich mit Lorena zum Frühstück im Hotel verabredet. Wir schossen ein paar Bilder, genoßen das Essen und anschließend das schöne Wetter mit einem Kaffee.
An M. oder den Cutie hatte ich weiter keinen Gedanken verschwendet. Bis ich nachmittags meine DM´s checkte und eine Nachricht vorfand. Von M.
Um ehrlich zu sein, hatte ich nicht mal Lust zu antworten. Warum auch? Gut, der Kerl sah nicht schlecht aus, aber trotzdem. Allerdings hatte ich mich am Vorabend echt scheiße ihm gegenüber verhalten und trotzdem meldete er sich bei mir und fragte nach, ob ich gut Heim gekommen war. Das nagte an meinem Gewissen. Eine Nachricht tat schließlich auch nicht weh. Ich verfasste eine kurze Antwort, woraufhin er mir eine Rückmeldung gab und so weiter. Ihr kennt das Spiel.
Hartnäckig war er auf jeden Fall!
Und aus einem „ich hab eigentlich keine Lust zu antworten“ wurde eine angenehme Unterhaltung, die mir das ein oder andere Lächeln hervorzauberte.
Und dann überschlugen sich die News. Corona wurde präsenter. Immer mehr und mehr wurde veröffentlicht, dass die Zahlen der Infizierten stiegen und einzelne Länder die Grenzen dicht machten und auch bezüglich Spanien gab es Gerüchte. Anfangs war ich noch sehr optimistisch und dachte: naja, so schlimm wirds schon nicht. Weswegen M. und ich für die darauffolgende Woche ein Coffee Date planten. Nach dem stunden- und tagelangen Schreiben sollte schließlich auch ein persönliches Treffen stattfinden.
Weder er noch ich hatten mit dem Lockdown und der Quarantäne gerechnet, die Spanien vom 16. März an verordnete. Wir durften während 14 Tagen die Wohnung nur verlassen, um Einkaufen zu gehen oder zur Arbeit zu fahren. Und als die vorerst verordneten zwei Wochen verlängert wurden, wurden auch die Arbeitswege verboten. Wer von zu Hause aus arbeiten konnte, sollte dies tun. Dass die Quarantäne zwei Monate anhielt und auch im Anschluss noch Einschränkungen beibehalten wurden, war unvorhersehbar.
Am 22. März beschlossen wir, einen Videoanruf zu machen. Ich starb innerlich vor Aufregung und wusste nicht, ob wir uns überhaupt etwas zu erzählen hatten. Aber wisst ihr was? Wir haben 3,5 (!!) Stunden miteinander geredet. Irgendwann schmerzten mir die Wangen vor Lachen. Ich habe während des Anrufs nicht einmal mein Handy gecheckt oder auf die Uhr geschaut. Und wäre es nicht spät geworden und hätte uns nicht der Hunger gequält, so hätten wir noch Stunden weiter telefonieren können.
Von da an telefonierten wir jeden Tag. Mindestens einmal täglich rief er mich aus dem Büro an und wenn es nur 5 oder 10 Minuten waren und ein weiteres Mal abends. Mit den Wochen wurde der Alltag stressiger, da die Quarantäne verlängert wurde und er sich um sein Business kümmern musste. Die Angestellten konnten aufgrund der Regelung nicht mehr ins Büro kommen, aber die Arbeit musste trotzdem erledigt werden und blieb somit zusätzlich an ihm hängen. Sein Job war es, das Familienunternehmen zu führen, welches Maschinen an die Farmer und Landwirte aus der Umgebung verkaufte. Ich bewunderte ihn dafür, dass er die Kraft fand, sich wochenlang um fünf oder sechs Uhr morgens aus dem Bett zu quälen und bis abends elf oder um Mitternacht zu arbeiten. Und auch ich hatte einen neuen Job im Kundenservice begonnen. Allerdings hatte dieser feste Zeiten und eine Anwesenheit von 8 Stunden. Alles darüber hinaus machte ich für Picbe und Instagram. Aber hier ist es schließlich möglich, mir die Zeit selbst einzuteilen.
M. fand trotz des Stresses immer Zeit, das Telefonat mit mir in seinen Tag einzubauen.
Und in diesem träumten wir täglich von Dates und motivierten uns mit den Dingen, die wir gemeinsam tun würden, sobald wir das Haus wieder verlassen und uns sehen könnten. Er erzählte mir von den Orten, an die er mich bringen wollte (Andorra, Ibiza, Sevilla,…), wir erstellten eine Spotify Playlist mit Songs, zu denen wir tanzen wollten, suchten Restaurants aus,… Uns gingen die Träume und Gespräche nie aus.
Und dann, Anfang Mai, erreichte ich meinen Tiefpunkt.
Ihr müsst verstehen… Seit Mitte März verbrachte ich die Quarantäne alleine in der Wohnung. Seine Anrufe und Nachrichten (und die von Freunden und Familie natürlich) waren alles, was mich bei Laune hielt. Ich freute mich den ganzen Tag darauf. Lediglich einmal hatte er es nicht geschafft, sich bei mir zu melden. Und das innerhalb der gesamten 6 Wochen.
Aber wie gesagt… Im Mai erreichte ich einen Tiefpunkt und mir ging es richtig schlecht.
Und das war der Punkt, an dem P. den Zettel unter meiner Türe durchgeschoben hatte. Als hätte er es gewusst.
Aus Respekt zu M. wollte ich mich damals nicht mit ihm treffen, aber ich brauchte einfach nochmal ein menschliches Gesicht, eine menschliche Präsenz, persönlich.
M. war für die Quarantäne nämlich zu seiner Familie und somit auch in die Nähe der Firma gezogen, was es ihm unmöglich machte, mich zu besuchen. Auch heimlich und somit illegal gab es keine Chance. Er wohnte also mit seinem Papa, seiner Mama und Schwester außerhalb von Barcelona auf einem großen Anwesen, neben einem Wald. Er hatte zwei Hunde, mit denen er regelmäßig Gassi ging und ebenfalls den Weg ins Büro. Ihm waren dementsprechend etwas Alltag und menschliche Begegnungen geblieben- wenn auch alles beschränkt. Deswegen verstand er mich zu gut. Er war dankbar, von seiner Familie umgeben zu sein und wünschte mir etwas Ähnliches.
Deswegen schrieb ich P.
Deswegen traf ich mich mit ihm.
Aber mit nichts von allem, was im Anschluss passierte, hatte ich gerechnet.
Und M. wahrscheinlich noch weniger.
Ich mochte M. wirklich sehr gerne. Ohne ihn hätte ich die Quarantäne nicht überstanden. Das steht für mich außer Frage! Aber ich wusste damals nicht, wann ich ihn persönlich sehen würde und gleichzeitig fühlte ich mich zu P. hingezogen. Keinem von beiden gegenüber war es fair, den Kontakt zu beiden aufrechtzuhalten.
Darum zog ich damals den Schlussstrich und beendete den Kontakt zu M.
Aber, wie ihr wisst, ist M. besonders hartnäckig. Eine Woche später meldete er sich erneut, um zu fragen, wie es mir ging und ob alles okay wäre. Er ließ nicht locker, rief mich immer mal wieder an, antwortete auf meine Story, sendete mir Sprachmemos und WhatsApp Nachrichten.
Ich antwortete ihm nicht mehr. Und fühlte mich mies dabei.
Aber ich hatte mehrmals erwähnt, dass ich keinen Kontakt mehr wünschte.
Zugegeben habe ich immer mal wieder an M. gedacht. Ich war und bin auch immer noch neugierig auf die Person, die ich verpasst habe, persönlich kennenzulernen.
Er allerdings hat inzwischen eine Freundin (die mich sehr an Lucrecia von Elite erinnert) und scheint überaus glücklich zu sein. Und das freut mich wirklich.
Aber vielleicht, denn man weiß nie, wie das Leben spielt… Vielleicht sieht man sich nochmal zufällig und geht dann auf einen Kaffee. To Go natürlich haha!