Die kommenden Tage fühlten sich an wie eine Qual. Unser letztes Treffen war für mich unglaublich intensiv gewesen und ich konnte es kaum abwarten, ihn wieder zu sehen. Zum ersten Mal nach langer Zeit hatte ich nochmal Aufregung und Schmetterlinge im Bauch gespürt. Es war wunderschön, aufregend und beängstigend zugleich. Und dann mit ihm. Wer hätte das gedacht, wenn man daran zurückdenkt, wie unser erstes Date verlaufen war?
Ich war froh, dass er noch während des Dates gefragt hatte, ob wir uns direkt Montag nach seiner Rückkehr sehen konnten. Ich hätte wahrscheinlich länger ausgehalten, aber ich wollte nicht. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich ihn am liebsten schon am darauffolgenden Abend wiedergesehen. Aber es ging sowieso nicht. Zum Glück waren meine kommenden Tage verplant, so dass ich nicht zu Hause sitzen und bildlich gesprochen darauf warten würde, dass die Zeit verging.
In dem Punkt kann ich mich übrigens absolut verlieren und wie abhängig werden. Süchtig nach diesem Gefühl, dem Wunsch, mit jemandem zu sein, dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Zuwendung.
Und wenn es ähnlich erwidert wird, mich die andere Person ebenfalls am liebsten tagtäglich sehen würde, werde ich entweder noch süchtiger oder, wenn ich merke, dass es doch nicht so passt, ziehe ich mich zurück, weil es anfängt, mir zu viel zu werden und zu nerven. Ich glaube diesen Widerspruch hatte ich bereits in einem der anderen Texte angesprochen.
Auf der anderen Seite genieße ich es auch sehr, Zeit für mich alleine zu haben, Zeit mit Freund:Innen zu verbringen, meine Aktivitäten zu machen. Ich brauche das. Es gibt Menschen, die ununterbrochen unterwegs sein müssen und unter Menschen. Ich nicht. Ich bin gerne unterwegs, aber ich brauche auch meine Momente nur für mich. Es kann innerlich ein absoluter Struggle sein, beiden Bedürfnissen nachzukommen und dem Verlangen nach Zweisamkeit nicht zu sehr nachzugeben, sondern die perfekte Balance zu finden.
J. fand einen Zwischenweg. Für ihn schien es in Ordnung zu sein, dass nun ein paar Tage vergingen, in denen wir uns nicht sahen, aber er freute sich auch wieder darauf, Zeit mit mir zu verbringen. Zu Beginn verunsicherte mich das etwas. Aber inzwischen kann ich sagen, dass es so absolut perfekt ist. Weil ich die Zeit dazwischen ebenfalls genieße. Um ihn zu vermissen und um andere Dinge zu tun. Aber vor allem, weil ich weiß, dass es nichts mit mir zu tun hat oder damit, wie es zwischen uns ist. Weil ich weiß, dass es so gesund ist und das perfekte Tempo. Wir haben Zeit.
Am Abend, bevor sein Flug ging, fragte ich ihn, wie er das Kontakt halten im Urlaub handhaben würde. Ich habe bereits viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht und für mich selbst rausgefunden, dass ich am ruhigsten bin, wenn ich weiß, wie sich die anderen Person melden wird. Keinen Kontakt zu haben, wäre für mich auf Dauer keine Option. Zum Einen, weil ich mir wünsche, dass das Bedürfnis da ist, dass mir die andere Person von ihrem Tag erzählen will und auch wissen möchte, wie es mir geht und zum Anderen, weil ich dann beruhigt bin, dass es ihm gut geht. Ich brauche aber auch keinen tagtäglichen Anruf oder hunderte Nachrichten. Generell mag ich Texte lieber, da ich sie mir immer wieder durchlesen kann. Ich mag schriftliche Kommunikation. Weil sie immer da ist, immer verfügbar, neu aufrufbar. Aber vor allem, weil sie mir so viel leichter fällt. Ich habe Zeit, meine Gedanken und Gefühle aufzuschreiben, die richtigen Wörter zu finden und sie zu ordnen. Wenn ich erzähle, passiert es mir oft, dass ich meine Gedanken einfach nicht richtig fassen kann, sie sich überschlagen, so dass ich an einem Punkt anfange, um nochmal zurückzuspulen, vorzugreifen etc. Das Geschriebene kann ich abändern, etwas hinzufügen, wegnehmen und mir meiner Worte bewusst werden. Hier steckt so viel mehr dahinter und ich packe so gerne noch Dinge zwischen die Zeilen. Hier liegt mein Herz drin.
Aber zurück zum Wesentlichen! Wie ich befürchtet hatte, erzählte er mir, dass er versuchte, sein Handy so wenig wie möglich im Urlaub zu benutzen. Er stellte es immer in den Flugmodus und nutzte nur die Kamera Funktion – einfach, um abzuschalten.
„Aber du kannst mir gerne schreiben und ich antworte dir am Ende des Tages. Das wäre okay oder?“
„Ja, das ist für mich okay. Was mich stören würde, wäre, wenn du zuvor sagst, dass du dich viel meldest und es dann nicht tust. Ich verstehe vollkommen, dass du unterwegs bist und darum nicht unbedingt viel Zeit hast, um dich bei mir zu melden. Wenn ich aber weiß, dass ich abends etwas von dir höre, bin ich beruhigt und habe etwas, worauf ich mich freuen kann. Also stört es mich so nicht (glaube ich haha).“
„Dann verspreche ich dir, dass ich mich abends melden werde und dir erzähle, wie der Tag war.“
Und genau das tat er. Im Endeffekt stellte er sein Handy doch nicht in den Flugmodus und die Kommunikation verteilte sich bereits über den Tag. Er hielt also sein Versprechen und diese Bestätigung tat gut.
Am Montag besprachen wir, was wir abends machen wollten. J. war kaputt von seinem Wochenendtrip und wir einigten uns auf einen ruhigen Abend. Ich schlug ihm vor, dass er zu mir kommen könnte und dass ich für uns kochen würde. Ich hatte samstags in weiser Voraussicht bereits die nötigen Zutaten eingekauft. Nach der Arbeit räumte ich die Wohnung auf und bereitete das Essen so weit vor, dass ich später nicht mehr wirklich etwas machen musste.
Pünktlich klingelte es an der Türe. Ich war den ganzen Tag schon in nervöser Vorfreude gewesen und hatte es kaum abwarten können. Und jetzt war er endlich da. Wir setzten uns auf die Couch und er erzählte mir von seinem Wochenende in München und zeigte mir Bilder. Wir quatschten und lachten. Ja, doch, ich hatte ihn vermisst über die paar Tage, in denen wir uns nicht gesehen hatten.
Später stand ich auf und ging in die Küche, um das Essen vorzubereiten. Ich hatte mich für Spaghetti mit Ofenfeta und Tomaten entschieden. Ein simples aber sehr leckeres Rezept. Er begleitete mich und bot mehrmals seine Hilfe an, aber es gab nichts, was er hätte tun können.
Nach dem Essen drehten wir die Musik auf und jeder suchte abwechselnd Lieder raus. Bevor ich mich versah, saßen wir am Tisch und grölten zu Kelly Clarkson, den Backstreet Boys und Pink. Wobei – grölen wäre wahrscheinlich die falsche Wortwahl. Ihr wisst ja, wie J. singt. Es machte unglaublich viel Spaß und ich hatte es so gut!
Es wurde wieder spät. Um wie viel Uhr wir im Endeffekt schlafen gegangen sind, weiß ich nicht mehr. Wohl aber, dass ich in der ersten gemeinsamen Nacht nicht gut geschlafen habe. Ich war innerlich unruhig und vor dem Schlafen hatten wir uns noch einige lustige Videos angeschaut, weswegen ich zusätzlich leicht gepusht war. Die erste Nacht neben einer Person fällt mir immer etwas schwerer – egal, wer es ist. Ob Freunde, Familie oder Datingpartner. Ich habe das Gefühl, dass ich dann in keinen Tiefschlaf komme, weil ich nervös bin. Ich werde andauernd wach und höre ganz laut das Pochen meines Herzens vor Aufregung.
Immerhin war er niemand, der mich unbedingt fest im Arm halten musste, um zu schlafen. Wir waren beide Team: umarmen und dann zum Schlafen zur Seite drehen. J. bewegte sich gefühlt die ganze Nacht nicht und ich konnte ihn auch nicht atmen hören. Zwischenzeitlich, wenn ich immer mal wieder aufwachte, vergaß ich entweder, dass er da war oder ich machte mir Sorgen, ob alles in Ordnung war. Aber am nächsten Morgen wachten wir beide mit dem Wecker auf, vollkommen müde. Wie gerne hätte ich noch weitergeschlafen. Aber die Arbeit rief. Er stand auf und zog sich an, während ich in die Küche ging, um Kaffee zu machen.
J. wollte keinen trinken, aber ich brachte ohne meine ersten Schlücke Kaffee kaum ein Wort raus. Am liebsten würde ich so lange die Klappe halten, bis ich getrunken und meine Zähne geputzt hatte. Danach sieht die Welt für mich immer ganz anders aus.
Kurz darauf verabschiedete er sich und ich setzte mich an den Laptop zum Arbeiten.
Die darauffolgenden Tage stand super viel an, weswegen wir es nicht schafften, uns unter der Woche zu sehen. Durch die Arbeit hatte ich die Möglichkeit bekommen ein Event in Zürich zu besuchen. Und als ich zurückkam, kündigten mir meine Eltern überraschenderweise an, dass sie mich besuchen würden. Dabei war eigentlich der Plan gewesen, ein ruhiges Wochenende zu haben, zu entspannen und J. zu treffen. Stattdessen überlegte ich mir, wie ich es nun noch schaffen sollte, die Wohnung komplett zu putzen und aufzuräumen.
Ganz ehrlich? Ich schaffte es nicht. Ich war zu müde vom Businesstrip und war froh über jede Sekunde Schlaf, die ich nachholen konnte. Samstags traf ich mich vormittags mit Lara, da wir noch einige Dinge abshooten wollten. Und anschließend schlenderte ich zur Placa Reial, wo meine Eltern auf mich warteten. Ich sah sie am Brunnen sitzen und spazierte auf sie zu, um sie zu begrüßen.
In der Gegend um die Placa Reial liefen immer so viele Menschen rum und auch einige, die versuchten, Rosen oder Spielzeuge zu verkaufen. Plötzlich spürte ich wen direkt neben mir stehen und genervt blickte ich zur Seite. Im ersten Moment checkte ich überhaupt nichts. Ich blickte auf eine goldene Verpackung, die mir jemand quasi ins Gesicht hielt und dachte nur: die Menschen hier werden immer penetranter.
Als ich auf der Verpackung dann aber „Leonidas“ las, machte es „Click“ in meinem Kopf. Ich schaute der Person wieder ins Gesicht und erkannte sie. Ich konnte kaum glauben, wer dort vor mir stand. Seit einem Jahr hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Ein langes Jahr, in dem ich ihn vermisst hatte. Mir schossen die Tränen in die Augen und ich umarmte ihn. Ließ meinen Emotionen freien Lauf.
Mein Bruder, der mir immer und immer wieder gesagt hatte, dass er für dieses Jahr keinen Urlaub mehr hatte, stand plötzlich vor mir und grinste mich an! Das war die schönste Überraschung, die ich in diesem Jahr erlebt hatte. Ich wollte ihn gar nicht mehr loslassen!
Wer meinen Bruder kennt, weiß, was er für ein herzensguter Mensch ist. Er ist immer für alle da, ist super hilfsbereit und trägt meist ein Lächeln im Gesicht. Er ist mein Sonnenschein und ich bin unglaublich dankbar, ihn als Bruder zu haben. Außerdem ist er eine richtig coole Socke, immer für einen Spaß zu haben. Ihn so lange nicht gesehen zu haben, war wirklich schwer für mich. Und jetzt stand er vor mir und ich wusste, dass ich die nächsten Tage die Möglichkeit hatte, ihm Barcelona persönlich zu zeigen! Wir tranken ein Glas auf der Placa Reial und gingen anschließend gemeinsam zu Abend essen.
Lange hatte ich überlegt, ob ich an dem Abend trotzdem noch J. sehen wollen würde. Aber – ich hielt es nicht aus. Ich wollte auch nicht, dass eine Woche vergangen war, bis ich ihn wieder sah.
Glücklicherweise hatte meine Familie belgische und keine spanischen Essenszeiten. Wir verabschiedeten uns gegen halb neun und ich machte mich auf den Weg zu J. Wir hatten uns auf einen ruhigen Abend geeinigt und schauten lediglich einen Film. Alles, was ich wollte, war die Zeit genießen und entspannen. Es war das erste Mal, dass ich seine Wohnung sah.
Er wohnte alleine und ich war richtig gespannt, was mich erwarten würde.
Die Wohnung war relativ groß und sehr minimalistisch aber geschmackvoll eingerichtet. Das Highlight war definitiv der große Balkon und die vielen Fenster zum Innenhof. Er hatte es uns gemütlich gemacht und eine Lichterkette eingeschaltet.
In der Nacht schlief ich wie ein Stein. Für gewöhnlich brauche ich mehrere Nächte, bis ich problemlos neben jemandem einschlafen kann. Bei ihm hatte es genau eine gedauert. Und das trotz des zusätzlichen Faktors der unbekannten Umgebung, welcher in der Vergangenheit ebenfalls oftmals dazu geführt hatte, dass ich mehrmals in der Nacht wach geworden war und senkrecht im Bett saß, weil ich nicht wusste, wo ich war. Dieses Mal: nichts. Ich schlief augenblicklich ein und wurde erst wieder mit seinem Wecker wach.
Es war schön, neben ihm aufzuwachen. Die Augen aufzuschlagen, ihn anzuschauen und zu sehen, wie er lächelt. Ich mag die Ruhe, die von ihm ausgeht. Immer. Sogar, wenn es mal etwas stressiger ist.
Wisst ihr, was ich am allerschönsten finde? Wenn man noch so im Halbschlaf ist, aber dann vom Partner rangezogen und umarmt wird und einfach in Löffelchen Stellung noch ein wenig weiter döst und schlummert. Oder quasi mit einem Kaffee geweckt zu werden. Ich bin morgens wirklich noch richtig verschlafen und brauche einfach ein paar Momente, um wach zu werden. Meine Augen verraten mich jedes Mal. Sie sind dann winzig.
Ich finde, es gibt aber kaum etwas Schöneres, als aufzuwachen, zur Seite zu schauen und sich an wen kuscheln zu können.
Viel Zeit blieb aber nicht, da meine Familie ja zu Besuch war und ich nunmal auch Zeit mit ihnen verbringen wollte. Die Tage mit den Drein vergingen allerdings wie im Flug und mittwochs verabschiedeten wir uns bereits. Ich hatte nicht viel Zeit gehabt, mich auszuruhen, weswegen ich J. wirklich dankbar war, als er vorschlug, am gleichen Abend einfach nur etwas für mich zu kochen.
Außerdem war ich neugierig, da ich wusste, dass er gerne kochte und Zasha seine Kochkünste mehrmals hervorgehoben und geschwärmt hatte. Als ich abends bei ihm ankam, hatte er das Curry bereits vorbereitet.
Und again – es war einfach ein sehr schöner und ruhiger Abend. Genau so, wie alle weiteren, die folgten. Ich kann theoretisch jedes Date, das wir hatten, beschreiben. Aber ein paar Dinge würde ich doch gerne für uns behalten und das meiste ist auch einfach ganz normal. Wir treffen uns, genießen die gemeinsame Zeit, lernen uns kennen und schauen einfach weiterhin, wie sich alles entwickelt. Wir gehen es langsam an und sehen, wo die Zeit uns hinführt. Bisher fühlen sich der Rhythmus und unser Tempo genau richtig an. Wir haben keinen Druck, kommunizieren viel und ehrlich und lassen einfach alles auf uns zukommen.
Hin und wieder merke ich, wie mich alte Gewohnheiten und Unsicherheiten einholen. Beispielsweise, als wir nicht mehr sofort festlegten, wann wir uns wiedersehen würden, war ich zu Beginn verunsichert. Brauchte er kein festes Datum, um zu wissen, wann wir uns sehen würden? Einen Tag, auf den wir uns jetzt schon freuen konnten? Würde er nochmal fragen? Oder war das letzte Treffen nicht gut genug gewesen? Ich verlagerte meine Gedanken schon wieder auf ihn und schon ihm quasi die Entscheidung zu, wie es weitergehen sollte. Also versuchte ich, immer wieder zu mir zurück zu kommen. Mir zu sagen, dass ich gut genug war, und dass hier einfach nur die Unsicherheit meines „alten“ Egos immer wieder aufkam. Ich beruhigte mich, wohlwissend, dass ich weder zu wenig getan hatte, noch etwas „Falsches“. Und dass, wenn er mich aus irgendeinem Grund nicht mehr sehen wollen würde, es nicht an mir oder an meinem Wert läge und es vollkommen okay wäre. Ich versuchte für mich rauszufinden, was ich wollte, wie ich die Situation einschätzte und wie ich fortfahren möchte. Ich überlegte nicht, ob es ihn nerven würde, wenn ich schreiben würde. Ich beschloss, von jetzt an nach meinem Gefühl zu handeln. Und wenn ich das Bedürfnis hatte, ihm zu schreiben, dann tat ich dies. Unabhängig davon, wann meine letzte Nachricht war, wer als letztes geschrieben hatte und was. Und ich schrieb auch nicht, um in seinen Gedanken zu bleiben oder weil zu viel Zeit vergangen war seit unserem letzten Kontakt. Immer, wenn ich das Bedürfnis hatte, mich bei ihm zu melden, hinterfragte ich, aus welchem Grund. Wollte ich damit zeigen „hey, vergiss mich nicht“ oder ihm etwas mitteilen, ohne unterbewusste Beweggründe und Ängste?
Inzwischen passiert dieser Gedankenswitch an den meisten Tagen innerhalb weniger Augenblicke. Ich habe ihn mir antrainiert. Ebenfalls habe ich für mich selbst festgelegt, dass, wenn mir etwas Kopfzerbrechen bereitet, egal, wie banal es scheint, ich es anspreche. Damit ich dem Gespenst in meinem Kopf keinen Platz zum Wachsen gebe und eventuelle Zweifel sofort aus dem Weg räume.
Beispielsweise gab es zwischendurch hin und wieder Augenblicke, in denen ich verunsichert war. Wenn ich schrieb, dass ich mich auf ihn freute oder es kaum abwarten konnte, ihn zu sehen, aber kein „ich mich auch“ zurückkam, bauten sich automatisch die ersten Ziegel einer Mauer auf und alles in mir schrie nach Rückzug. Aber, wie oben schon beschrieben, nahm ich mir meinen Mut zusammen und äußerte, dass ich das Gefühl hatte, dass er sich in letzter Zeit zurückgezogen hatte. Er blieb ruhig, nahm meine Hand und versicherte mir, dass dies keine Absicht war und ich mir keine Gedanken machen musste. Ich wollte ihm nicht dieses konkrete Beispiel nennen, weil ich mir doof vorkam und es sich in meinem Kopf, wenn ich es aussprechen würde, dann banal anhören würde. Es war ihm wahrscheinlich nicht mal aufgefallen. Und wenn wir uns sahen, zweifelte ich nicht eine Sekunde. Er gab mir nie einen Grund dazu. Es war also eines meiner Hirngespinste.
Aber – in der darauffolgenden Zeit war alles wieder wie immer. Ich hatte nicht mal etwas konkret sagen müssen. Er nahm mich ernst und meine Sicherheit kam zurück, die Mauer zerfiel.
In einem anderen, ängstlichen Moment beschloss ich, ein neues Buch anzufangen. Ich hatte mir in den Wochen davor einiges an neuer Lektüre bestellt, aber war nicht dazu gekommen, etwas zu lesen. Das Buch, dass ich eigentlich las, sprach mich derzeit nicht sonderlich an und ich suchte mir ein neues. Vollkommen zufällig wählte ich ein Buch aus. „Wenn ich mich nicht liebe, wie soll mich jemand anders lieben?“ Ich verbrachte einen Nachmittag und einen Vormittag mit dem Buch und es erinnerte mich im perfekten Moment nochmals daran, dass ich es Wert war, die Aufmerksamkeit und Zuneigung zu bekommen, die ich mir wünschte, die ich anderen gab und die J. mir schenkte. Ich bin sicher, dass er mir vom Charakter, von seinem Wesen her, sehr ähnlich ist. Ich glaube, dass es mir mit ihm an nichts fehlen wird, sollten sich unsere Gefühle oder unsere Zuneigung weiterentwickeln.
Ich muss euch gestehen, dass ich manchmal meine Momente habe, in denen ich mir unsicher bin oder in denen ich Angst habe. Weil es einfach so anders ist zu dem, was ich bisher erlebt habe. Wir haben einen ganz anderen Rhythmus und es ist so viel langsamer und nicht Hals über Kopf, wie ich es bisher quasi immer hatte. Aber mit jedem Treffen werde ich mir sicherer.
Stand heute: ich bin wirklich happy. Wie ihr rauslesen konntet, treffen wir uns weiterhin. Vom Gefühl her wird die Bindung, die ich zu ihm aufbaue mit jedem Treffen stärker. Es wird alles intimer, weniger unbeholfen, natürlicher. Ich fühle mich immer wohler und weiß sein Verhalten, seinen Charakter, seine Art mit jedem Mal mehr zu schätzen. Wenn ich morgens oder abends auf seiner Couch sitze und er in der Küche steht und etwas vorbereitet, schaue ich manchmal einfach nur rüber und lächle. Als er mir an einem Morgen den Kaffee zubereitet und gebracht hat, hat mich diese kleine Geste daran erinnert, was ich vor Monaten in Kapitel 8 geschrieben habe. Dass ich mir auch jemanden wünsche, der mir morgens den Kaffee bringt und mir kleine Aufmerksamkeiten schenkt. Auch, wenn J. mir keine romantischen Nachrichten schreibt, so zeigt er mir mit vielen anderen Dingen seine Zuneigung. Er kauft veganen Käse, wenn er weiß, dass ich komme und sucht Restaurants mit veganen Optionen raus. Er interessiert sich für meine Freunde und Familie, nimmt mich mit zu Treffen mit Freunden. Er umarmt mich manchmal einfach so, nimmt meine Hand oder schaut mich einfach an und küsst mich. Und wenn er das tut, können wir auch kaum aufhören. Kennt ihr den Moment, wenn man sich einen Kuss gibt und dann noch einen und noch einen und man muss eigentlich gehen, aber man will nicht? Es ist wie der Moment an der Metro, wo er sich nochmal umgedreht hat, um zurückzukommen und mir noch einen Kuss zu geben. Und sobald er mich sieht, lächelt er. Und ich lächle automatisch zurück. Und inmitten all dieser Momente, gibt es immer wieder Küsse, die einfach so vorsichtig und zärtlich sind, dass ich denke, zu schmelzen. Aber stattdessen habe ich einfach nur 100 Schmetterlinge im Bauch und ein Grinsen im Gesicht.
Und noch etwas… Ich hab es kaum jemandem erzählt, aber: Anfang des Jahres habe ich mir meinen Traummann aufgeschrieben. Ich habe mir Gedanken gemacht, was mir wichtig ist und alles, bis ins kleinste Detail aufgeschrieben. Wie soll er aussehen, was soll er können, welche Eigenschaften und Werte soll er mitbringen. Über die Monate hatte ich schon wieder vergessen, dass ich diese Übung gemacht hatte. Aber nach einem unserer Dates fiel es mir wieder ein. Das erste, was ich tat, nachdem ich zu Hause angekommen war, war, nach meinem Notizheft zu suchen. Ich blätterte durch die Seiten und fand endlich, wonach ich suchte. Ich las mir meine Beschreibung durch und sackte am Ende in meinem Stuhl zusammen. Ich hielt mir die Hand vor den Mund und konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Unterbewusst und teilweise bewusst, war mir klar, worauf ich Wert legte. Das hatte mir die Übung gezeigt. Und mit der Zeit war mir bewusst geworden, dass der Typ Mann, den ich mir bisher ausgesucht hatte, einfach nicht zu mir passte. Dass es vielleicht für eine Zeit aufregend sein würde, Achterbahn zu fahren, aber mehr nicht. Und dass es auf Dauer einfach toxisch ist.
J. hatte unglaublich viele der Kriterien, die ich aufgeschrieben hatte – um nicht zu sagen alle bis auf 1 oder 2. Und ich schwöre euch, dass ich hier wirklich ins Detail gegangen bin mit meinen Wünschen und Anforderungen und die Beschreibung nicht auf jeden zutreffen würde.
Ich bin gespannt, wo es weiter hinführen wird. Aber ich versuche momentan einfach nur die Gegenwart zu genießen und nicht zu viel an die Zukunft zu denken. Bei mir zu bleiben, mich zu fragen, was ich will und was für mich in Ordnung ist. Wenn es sein soll, wenn es passt, dann wird es auch geschehen. Am Ende hat alles seinen Grund und geschieht so, wie es soll.
2 Comments
Wie immer wunderschön geschrieben… Du hast es einfach drauf, einen in den Bann zu ziehen… Man würde am liebsten immer weiter lesen…
Ich freue mich sehr für dich und hoffe, dass diese Liebe u Zuneigung sehr lange anhalten wird….
Danke Mummy ❤️ Du bist ja eh auf dem Laufenden 😘